Stolpersteine in Hamburg (2024)


HIER WOHNTE
ESTHER NEUKORN
JG. 1886
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Esther Neukorn, geb. am 16.3.1886 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein in Hamburg-Neustadt, Herrengraben 4, (früher Herrengraben 91)

Esther Neukorns Geburtsurkunde aus dem Jahre 1886 weist ihre beiden Eltern als Eheleute jüdischen Glaubens aus. An der Rechtmäßigkeit dieser Ehe kamen von staatlicher Seite Zweifel auf. Die Ehe war rituell geschlossen worden und wurde deshalb von staatlicher Seite nicht anerkannt. Esther Neukorns Geburtsurkunde erhielt am 3. April 1900 folgende Ergänzung:

"Auf Anordnung des Amtsgerichts Hamburg wird berichtigend vermerkt:
1.die Mutter des in der Eintragung bezeichneten Kindes ist nicht des Anzeigenden Ehefrau, die nach der vorgezeigten ‚Trauakte’ zwischen ihr und dem Anzeigenden am 6. Februar 1871 geschlossene rituelle Ehe ist als ein rechtlich nicht in Betracht kommender Vorgang anzusehen.
2.dieselbe war zur Zeit des Geburtsfalles Händlerin und ihre Namen lauteten richtig: Beila, geb. Berkner, verw. Spitzel".
Daraufhin schlossen der schon einmal verheiratete Salomon Neukorn und die verwitwete Beila Spitzel, geborene Berkner, am 6. April 1900 die Ehe auch vor einem staatlichen Standesbeamten. Am selben Tag erklärte Salomon Neukorn auf dem Standesamt, "Ich erkenne das nebenbezeichnete Kind mit Vornamen Esther [...] als das meinige an." Damit war Esther Neukorn ab dem 6. April 1900 auch formal das eheliche Kind des Handelsmannes Salomon Neukorn und seiner Ehefrau Beila.

Esther Neukorn hatte drei Schwestern: Anna Neukorn, geboren am 25. Juni 1877, Carolina Neukorn, geboren am 5. Mai 1879, und Maria Neukorn, geboren am 17. Oktober 1881. Salomon Neukorn legitimierte Maria und Carolina in gleicher Weise wie Esther. Die vierte Tochter, Anna, war 1879 im Alter von zwei Jahren gestorben. Damit stellte sich die Frage ihrer Legitimierung im Jahre 1900 nicht mehr.

Salomon und Beila Neukorn waren beide in Krakau zur Welt gekommen. Sie besaßen die österreichische Staatsangehörigkeit, als sie im November 1885 nach Hamburg einwanderten und in den nächsten acht Jahren im Keller des damaligen Hauses Herrengraben 91 in der Hamburger Neustadt wohnten. Laut Meldekarte aus dieser Zeit war Salomon Neukorn als Handelsmann tätig. Die Familie lebte danach an mehreren Stellen der Neustadt, zuletzt einige Jahre in der Straße Eichholz 48. Salomon Neukorn starb am 26. Mai 1904 im Alter von 71 Jahren.

Über die Kindheit und Jugend von Esther Neukorn und ihren Schwestern wissen wir nichts. Seit dem Jahre 1927 lebte Esther wahrscheinlich mehrere Jahre in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, bis sie Anfang 1935 in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt wurde. Von dort kam sie am 27. August 1939 auf das Gut Düssin in Mecklenburg, auf dem die Stadt Hamburg Menschen mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten beschäftigte. Neben Esther Neukorn arbeiteten dort eine weitere Frau und sechs Männer jüdischer Abstammung. Am 13./14. September 1940 wurden Esther Neukorn, ihre Leidensgenossin Alice Elkeles und die vier jüdischen Männer in die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn zurückgebracht. Einer, Richard Guth, war bereits am 28. August 1940 zurück nach Langenhorn gekommen (siehe dort).

Die Rückführung der jüdischen Patienten aus Düssin nach Langenhorn war Teil einer von der "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, und dem Reichsinnenministerium im April 1940 begonnenen reichsweiten Aktion. In deren Rahmen wurden zunächst alle jüdischen Patienten in Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich und in der Ostmark (NS-Bezeichnung für Österreich) erfasst, dann in sogenannten Sammelanstalten zusammengeführt und anschließend in mehreren Tötungsanstalten mit Kohlenmonoxyd ermordet.

In der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurden 136 geistig behinderte Patientinnen und Patienten jüdischer Herkunft aus Anstalten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg zusammengefasst. Sie wurden am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel transportiert und dort in einem dafür umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses noch am selben Tag mit Gas getötet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Auf dem Geburtsregistereintrag von Esther Neukorn wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II ihren Tod unter der Nummer 354/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

An Esther Neukorn erinnert ein Stolperstein in Hamburg-Neustadt, Herrengraben 4, (früher Herrengraben 91). Die Schicksale von Beila, Carolina und Maria Neukorn liegen im Dunkeln.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 6; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 69 Sterberegister Nr. 1811/1879 Neukorn Anna, 535 Sterberegister Nr. 720/1904 Neukorn Salomon, 1907 Geburtsregister Nr. 2476/1877 Falck Julius, 1909 Geburtsregister Nr. 3035/1877 Neukorn Anna, 1954 Geburtsregister Nr. 2234/1879 Neukorn Carolina, 2008 Geburtsregister Nr. 4929/1881 Neukorn Maria, 2125 Geburtsregister Nr. 1424/1886 Esther Neukorn, 2943 Heiratsregister Nr. 265/1900 Neukorn Salomon/Spitzel Beila, 3087 Heiratsregister Nr. 372/1990 Falck Julius/Neukorn Carolina, 8137 Sterberegister Nr. 130/1936 Julius Falck; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Esther Neukorn der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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